0‰ Promille

Mit dem Smartphone gegen die Alkoholsucht!

Im Rahmen des Seminars „Games for Health“, ein interdisziplinäres Angebot zwischen Psychologie und Game Studies, erhielten die Studierenden die Möglichkeit selbst ein Spiel für Computer, Smartphone oder Co. zu kreieren, das das Gesundheitsverhalten der Nutzer*innen verbessern solle.

In einer Gruppe, bestehend aus vier Studierenden, kamen wir schnell zu dem Konsens, das wir probieren wollen, mit unserem Game problematischen Alkoholkonsum anzugehen.

Ergebnisse des Epidemiologischen Suchtsurveys, 2015

Alkoholkonsum sowie dessen Missbrauch sind in unserer Gesellschaft allgegenwärtig. Im Jahr 2014 konsumierten in Deutschland 90% der Menschen zwischen 18 und 64 Alkohol. Allein 37,9% davon lieferten Hinweise auf einen klinisch relevanten Alkoholkonsum. Das geht aus dem Epidemiologischen Suchtsurvey aus dem Jahr 2015 hervor. 


Wen wollen wir mit unserem Spiel erreichen?

Als interessant stellte sich schon zu Beginn die Frage heraus, wie man diese spezifische Gesundheitsproblematik auf eine angemessene und erfolgreiche Art und Weise angehen kann. Wen sollen wir genau ansprechen? Würde es funktionieren bereits alkoholkranke Menschen in den Fokus der Zielgruppe zu rücken?

Die Entscheidung dahingehend wurde durch eine empirisch-psychologische Studie aus dem Jahr 2011 unterstützt (siehe Literaturangaben), die unser Konzept stark beeinflusst hat. Die Proband*innen der Studie waren alkoholkrank, befanden sich aber bereits in Therapie. Die Aufgabe war es, möglichst schnell ein Getränk, das auf einem Bildschirm vor den Studienteilnehmenden erscheint, als entweder alkoholhaltig oder alkoholfrei zu identifizieren. Mithilfe eines Joysticks sollten nun alkoholhaltige Getränke in den hinteren Teil des Bildschirms wegbewegt werden und alkoholfreie Getränke in Richtung der Teilnehmenden hingezogen werden. Daraus ergab sich, dass dies eine Auswirkung auf den Alltag der Proband*innen hatte. Sie zeigten nun eine höhere Tendenz hinsichtlich der jeweils spezifischen alkoholfreien Getränke. Das Spielkonzept und die Spielmechanik bauen komplett auf dieser Studie und deren Ergebnissen auf. Die Studie bildet auch die Erklärung dafür, wieso wir uns für Alkoholkranke als Zielgruppe entschieden haben.

Während des Entwicklungsprozesses kam die Überlegung auf, dass Menschen mit einer Alkoholsucht eventuell nicht die Kapazität und die Möglichkeiten haben, sich mit unserem Spiel zu befassen und auseinanderzusetzen. Dazu bleibt hinzuzufügen, dass wir uns auf eine Zielgruppe konzentrieren wollen, die sich bereits in einer Therapie befinden und bereit sind, sich mit ihrem Verhalten auseinandersetzen. Das bedeutet, dass die Menschen, die wir mit dem Spiel ansprechen wollen, nach Möglichkeiten suchen, ihre Heilung zu unterstützen. Gleichzeitig können wir uns vorstellen, dass das Spiel von Menschen genutzt werden kann, die ein riskantes Alkoholverhalten zeigen.

Das Dispositiv des Spiels ist deshalb mobil angelegt. 0‰Promille“ ist ein kostenfreies Smartphone-Spiel und damit überall und für nur einige Minuten spielbar. Wir haben uns entschieden, die Thematik sehr spielerisch anzugehen. So windet sich um die Spielmechanik ein interessantes Narrativ, was den Zugang auch für Menschen, die aufgrund ihrer Krankheit weniger Muße und Zeit haben, erleichtern soll. 

Berlin stellt das Start-Level dar, in dem der Avatar in das Spiel und dessen Funktionen eingeführt wird.

Wie wird mit der Versuchung von Alkohol umgegangen?

Wir haben zudem daran gedacht, das Spiel mit Informationen und Angeboten zur Hilfe zu bereichern, sodass immer wieder ein möglicher Rückfall Bestandteil des Spiels ist. Es geht schließlich auch darum, dass es im realen Leben der Spieler*innen immer wieder zu Versuchungen kommen wird. Diese Gefahren soll das Spiel aufgreifen und bei den Spieler*innen ein positives Grundgefühl verankern, indem spielerisch den Versuchungen widerstanden wird. Dies wird im Spiel so umgesetzt, dass nach jedem Level eine Informationskarte über das spezifische alkoholhaltige Getränk erscheint. Durch diese Karten erfährt man, welche Gefahren von Alkohol ausgehen. Auch das Narrativ des Spiels baut darauf auf, dass immer wieder „Nein“ zu alkoholhaltigen Getränken gesagt werden muss.

Spannend ist dahingehend auch, dass die Spieler*innen die Geschichte ihres eigenen Avatars verfolgen, der erfolgreich seine Alkoholsucht überwunden hat und beschlossen hat, quer durch Europa zu reisen. Dabei besucht er oder sie verschiedene europäische Städte, die als Level dienen. 

Eine wichtige Funktion stellt zudem das „Hilfe & Kontakte“-Menü dar. Die Spieler*in hat darauf über das Hauptmenü Zugriff und es listet verschiedene Hotlines oder Websites auf, die der Spieler*in im Umgang mit der Sucht helfen sollen. Die Spieler*innen werden im Ladebildschirm regelmäßig darauf aufmerksam gemacht.


Die spielende Person swipt das alkoholhaltige Getränk von sich weg.

Doch wie soll das Ganze überhaupt umgesetzt werden? 

Unser Spiel bedient sich einer sehr einfachen, im Umgang mit Smartphones üblichen Mechanik – dem Swipen. Durch das Swipen gibt man Befehle in das Smartphone ein, indem man mit dem Finger auf dem Display streicht. Die Spieler*innen swipen alkoholhaltige Getränke von sich weg und alkoholfreie Getränke zu sich hin. Das Ganze wird narrativ und design-technisch entsprechend verpackt, um es für Spieler*innen ansprechender zu gestalten. Dies erfolgt durch den Einzelspieler- bzw. Story-Modus.


Die Hand symbolisiert den Beginn des Spiels.

Die Level folgen dabei immer einem ähnlichen Schema: Eine Hand platziert das erste Getränk mittig im Bildschirm, und signalisiert damit den Spielbeginn. Jedes Level besteht aus einer unterschiedlichen Anzahl Runden, die je nach Schwierigkeitsgrad variieren und zwischen zwei und vier Sekunden dauern können. Jedes Level unterscheidet sich visuell von den anderen, beispielsweise werden andere Hintergründe benutzt und die Hand, die das Getränk zu Beginn des Spiels hineinreicht, ist in jedem Level unterschiedlich gestaltet. Die Getränke unterscheiden sich von Level zu Level, um eine möglichst große Vielfalt darbieten zu können, und um auf die lokalen Begebenheiten der jeweiligen europäischen Stadt einzugehen. Dabei wird darauf geachtet, dass die alkoholhaltigen Getränke sich ausreichend von den alkoholfreien Getränken unterscheiden, sodass es nicht zu Verwechslungen kommt, wie zum Beispiel zwischen purem Orangensaft und dem Longdrink Wodka-Orange. Zusätzlich wird am Anfang jedes Levels dem Spieler*in angezeigt, welche Getränke es hin- oder wegzuswipen gilt, sodass sie mit jedem Getränk richtig umzugehen wissen.


Diese Spieler*in hat das Level erfolgreich abgeschlossen und dafür eine Bronze-Plakette erhalten. Nun besteht die Möglichkeit sich näher über alkoholhaltige Getränke, wie etwa Bier, zu informieren.

Schließt die Spieler*in das Level mit einer Trefferquote von mindestens 80% ab, erhält er/sie je nach Leistung – und wie für viele ähnliche Smartphone-Spiele üblich – entweder eine Bronze-, Silber- oder Goldplakette, sowie weitere Boni. Für eine Bronzeplakette bekommt die Spieler*in eine Info-Karte zu dem Getränk, das neu in diesem Level vorkam. Auf dieser sind Informationen enthalten, wie etwa Ursprungsland, Alkoholgehalt und vor allem welche Folgen mit dem Konsum üblicherweise assoziiert werden und verbunden sind.

Erhält die Spieler*in eine Goldplakette, bekommt er/sie als Belohnung ein Selfie des Avatars, vor einer Sehenswürdigkeit der jeweiligen Stadt, sowie Fakten oder Erfahrungsberichte anderer (ehemaliger) Alkoholkranken.

Besonders wichtig sind die Coins, die man für seine Leistung in jedem Level erhält. Mit diesen kann man sich in einem Shop entweder Accessoires für seinen Avatar kaufen, um diesen individueller zu gestalten, oder Zugtickets, die ermöglichen in neue Städte, und somit neue Levels, zu reisen.

Schafft die Spieler*in es alle Städte innerhalb eines Landes abzuschließen, erhält er/sie als Belohnung eine kleine Zwischensequenz zwischen dem Avatar und einer Bewohner*in des jeweiligen Landes, in der der Avatar ein alkoholisches Getränk angeboten bekommt, das dieser dankend, aber bestimmt ablehnt. Dies ist ein wichtiges Zeichen für die Spieler*in, der/die es spielerisch geschafft hat, sich nicht vom Alkohol versuchen zu lassen. Jedes dieser Extras kann im Hauptmenü in einer Galerie noch einmal eingesehen werden.

Der Mehrspieler-Modus

Während der Fokus des Spiels zwar auf dem Einzelspielermodus liegt, gibt es noch einen kooperativen Mehrspieler*innen-Modus, der den Spieler*innen erlaubt, online zusammen mit anderen zu spielen. Der kompetitive Aspekt tritt dabei in den Hintergrund, da Frustration, etwa durch dauerhaftes Verlieren, vermieden werden soll. Aus diesem Grund spielen in diesem Modus beide Spieler*innen gleichzeitig ein Level, und der Gewinn, den sie einzeln erzielt hätten, wird für beide ausgeschüttet. So bleiben beide Spieler*innen auf Dauer motiviert. Diese Funktion bietet zudem die Möglichkeit, sich mit anderen alkoholkranken Menschen auszutauschen und zu verbinden. Dies wird zum einen durch das gemeinsame Spielen, als auch durch eine Chatfunktion gewährleistet. Es soll darum gehen, zu lernen, sich gegenseitig zu motivieren und aufzubauen. Zu Beginn der Spielentwicklung haben wir noch verstärkt auf einen Wettbewerbscharakter gesetzt. Im Laufe des Prozesses wurde jedoch klar, dass dies auf Seiten der schwächeren Spieler*innen auch demotivierend wirken kann, und dementsprechend dem Anspruch des Spiels entgegenwirken würde.

Zusätzliche Motivation sollen zudem Push-Benachrichtigungen bringen, die mittels einer kleinen Nachricht des Avatars die Spieler*innen zum Weiterspielen animieren sollen.

Wir haben uns für ungesunden, riskanten und krankhaften Alkoholkonsum als Thema dieses Spiels entschieden, da es ein allgegenwärtiges, generationenübergreifendes Problem ist. Alkoholismus gilt es anzupacken. Körperliche Gesundheit ist eben nicht nur durch Bewegung oder Ernährung ausgleichbar.

Das Spiel bedient sich, den für Smartphone-Games üblichen Konventionen, und soll sich dadurch gut in den Alltag verschiedener Menschen einbinden lassen, sowie einfach und überall zu spielen sein. Auf Dauer erhoffen wir uns mit dem Spiel eine gelungene Motivation für die Nutzer*innen darzustellen.


Literatur

Gomes de Matos, E., Atzendorf, J., Kraus, L., & Piontek, D. (2016). Substanzkonsum in der Allgemeinbevölkerung in Deutschland. Ergebnisse des Epidemiologischen Suchtsurveys 2015. Sucht, 62 (5), 271-281.

Kraus, L., Pabst, A., Piontek, D., Gmel, g., Shield, K.D., Frick, H. & Rehm, J. (2015). Temporal Changes in Alcohol-Related Morbidity and Mortality in Germany. European Addiction Resarch, 21, 262-272.

Wiers, R., Eberl, C., Rinck, M., Becker, E.S., & Lindenmeyer, J. (2011). Retraining automatic action tendencies changes alcoholic patients‘ approach bias for alcohol and improves treatment outcome. Psychological Science, 22 (4), 490-497.

Das Spielkonzept zum Gesundheitsspiel "0 Promille" und dieser Beitrag wurden von Melanie Ruhe, David Michalik, Pierre Gries und Zoran Kovacevic während des Seminars "Games for Health" von Dr. Laura König (Psychologie) und Benjamin Schäfer (Literatur-, Kunst-, Medienwissenschaften) im Sommersemester 2019 erstellt.